Um ehrlich zu sein: Als ich das erste Mal den Begriff „kompetenzorientiert“ las, dachte ich bei mir „schon wieder ein neumodischer Begriff für den gleichen Krams“. Dazu kam noch die Worthülse „Kompetenz‐Kompetenz“ des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber, über die ich damals sehr gelacht habe. Das Wort Kompetenz begegnete mir zunächst meistens aus dem Mund von überwiegend inkompetenten Bildungspolitikern, die mit der Idee der Umstellung auf Kompetenzorientierung den Personalmangel und die schlechte Ausstattung der Bildungseinrichtungen kompensieren wollten – möglichst kostenneutral natürlich.
Kurz: Ich war genervt von dem Begriff, weil ich nicht verstanden habe, worum es wirklich ging. Das dürfte vielen ähnlich gehen.
Über die Autorin
Wiebke Thönißen ist seit 32 Jahren bei der Feuerwehr und bei Feuerwehrhandwerk zuständig für die Themen Brandbekämpfung, Atemschutznotfalltraining, Suchen/Retten und Realbrandausbildung. Im Hauptberuf ist sie selbständig als Brandschutzsachverständige. Nebenbei arbeitet sie als Ausbilderin für die Gruppenführung und den Ausbilderlehrgang an der Landesfeuerwehrschule SH. Sie ist Autorin
zweier Fachbücher und diverser Kolumnen über das Feuerwehrleben.
Die Bedeutung von Kompetenzorientierung in der Feuerwehrausbildung
Die ersten Veröffentlichungen der Arbeitsgruppe zur FwDV 2 waren noch recht schwammig und schwer zu verstehen, die letzte aus dem Jahr 2019 war zwar verständlicher, ist aber ebenfalls sperrig zu lesen, wenn man keine Ahnung vom Thema hat. Aufs richtige Pferd hievte mich am Ende ein Kollege mit Pädagogik‐Hintergrund (danke Sören!), der mich mit bergeweise Literatur und passenden Erläuterungen ausstattete, als wir das Buch über die TH‐Ausbildung schrieben. Nach hunderten Seiten Lesestoff und vielen Gesprächen dämmerte mir irgendwann, dass das für die Feuerwehrausbildung ein revolutionär guter Ansatz werden würde. Seitdem frage ich mich ehrlich gesagt, warum wir da nicht schon viel früher draufgekommen sind, denn der Begriff der kompetenzorientierten Ausbildung ist in der Pädagogik nun wahrlich keine bahnbrechende Neuerung mehr.
Warum? Feuerwehrtätigkeiten im Einsatz sind DAS Musterbeispiel für Kompetenz. Wir Feuerwehrleute wissen vorher nie, was uns erwartet. In jedem Einsatz müssen wir daher unser Fachwissen, unsere praktischen Fertigkeiten und auch unser angelerntes Verhalten und unsere Umgangsformen neu kombinieren, um die Einsatzsituation zu bewältigen. Und genau diese Anwendung des Mitgebrachten auf eine neue Situation ist die Definition von Kompetenz.
All das, was wir zum Einsatz mitbringen, sind unsere Ressourcen. Das Fachwissen sind all die Daten, die wir in unserem Kopf herumtragen – Einsatzgrenzen, Rechtsgrundlagen, Wurfweiten, zulässige Lasten und Erfahrungswerte. Die praktischen Fertigkeiten erwerben wir durch Üben und nutzen sie im Einsatz, um die Aufgaben handwerklich zügig abzuarbeiten. Unser Verhalten gegenüber Patienten, Betroffenen und anderen Helfern lernen wir unser ganzes Leben lang – in der Kinderstube, durch den Umgang untereinander und durch Vorbilder. Diese Dreiteilung findet sich übrigens auch schon in der jetzt gültigen FwDV 2 – da heißt das ganze Erkenntnis‐, Handlungs‐ und Gefühls‐/Wertebereich.
Welche von unseren Ressourcen wir in welcher Kombination zum Einsatzerfolg anwenden, entscheiden wir oft binnen Sekunden erst an der Einsatzstelle.
Warum setzen wir dann in der Ausbildung oft nur bei einem der drei Faktoren einzeln an und hoffen, dass unsere Leute das Kombinieren schon selbst hinbekommen? Warum erwarten wir, dass unsere Leute nachts um 3 die Einsatzgrenzen von Rettungszylindern kennen, die wir ihnen vor einem Jahr in einer PowerPoint‐Präsentation am Ende eines langen Arbeitstages dargeboten haben?
Die Bedeutung von Selber-Machen und Problemlösung in der Ausbildung
Die Kompetenzorientierung setzt im Gegensatz zu unseren bisherigen, oft verwendeten Ausbildungsmethoden direkt da an, wo wir hinwollen: bei der selbst erarbeiteten Problemlösung, also beim Einsatz.
Und das, liebe Leute, ist Montessori‐Pädagogik für Erwachsene. Der Montessori‐Leitsatz „hilf mir, es selbst zu tun“ kann 1:1 auf unsere Ausbildung übertragen werden. Schaffen wir für unsere Unterrichte einen sicheren Sandkasten, in dem die Teilnehmenden sich selbst Lösungen zu einsatznahen Problemen erarbeiten können. Was jemand selbst erarbeitet und getan hat, bleibt nachweislich besser haften als Dinge, die nur erzählt oder beobachtet wurden. Außerdem steigt mit dem Selber‐Machen auch die Überzeugung vom Gelernten und das Selbstvertrauen, das wir im Einsatz brauchen, um schnell und entschlossen zu handeln.
Wie kann so ein Sandkasten aussehen? Ein Beispiel: Statt die Teilnehmenden eines Lehrgangs im Theorie‐Unterricht mit einer Tabelle zu Durchmessern, Durchflussmengen und Wurfweiten von Stahlrohren vollzulabern und ihnen die Stahlrohre im Unterrichtsraum unter die Nase zu halten, bereiten wir eine Gruppenarbeit vor. Eine Gruppe ermittelt an den Strahlrohren selbst die relevanten Abmessungen und Begriffe, gegebenenfalls unterstützt durch technische Datenblätter. Eine weitere Gruppe experimentiert (natürlich mit Unterstützung durch erfahrene Feuerwehrangehörige) mit den Strahlrohren und ermittelt verschiedene Wurfweiten. Die dritte Gruppe misst (ebenfalls mit Unterstützung) die Durchflussmengen. Alle Gruppen stellen ihre Ergebnisse den anderen vor. Ich wette mit euch, die Teilnehmenden eines solchen Unterrichts werden im Innen‐ und Außenangriff die Einsatzmöglichkeiten ihrer Stahlrohre deutlich besser abschätzen können als diejenigen, die stumpf die Tabelle auswendig gelernt haben.
Hast du schon etwas von der neuen FwDv 2 gehört?
Ja, ich weiß das eine neue FwDv 2 veröffentlicht wird.
Nein, davon habe ich noch nichts gehört.
Zeit für Veränderung: Kompetenzorientierung als Chance in der Feuerwehrausbildung
Ich weiß, jetzt kommt ihr mir bestimmt mit „aber dafür haben wir ja gar keine Zeit, dann schaffen wir ja XYZ nicht mehr“ oder „wann sollen wir denn sowas noch vorbereiten?“. Richtig. Kompetenzorientierung ist aufwändig und vielleicht müssen wir dabei auch das eine oder andere Thema anders anfassen. Bei manchen Unterweisungen habe ich beispielsweise eher das Gefühl, dass wir Gerätewarte ausbilden wollen als Truppmänner/‐frauen. Bei anderen Unterrichtseinheiten spielen Ausbilder mit den Geräten herum, am besten noch von den Teilnehmenden halb abgewandt – was spricht dagegen, stattdessen den Teilnehmenden die Sachen in die Hand zu drücken? Niemand verlangt von uns, dass wir die komplette Unterrichtsgestaltung auf einen Schlag umstellen. Das schaffen wir auch gar nicht. Aber was spricht dagegen, erstmal bei einzelnen Unterrichtseinheiten damit zu experimentieren? Ihr werdet feststellen, dass Ihr oft gar nicht mehr Zeit benötigt als früher, wenn Ihr Euch fragt, welche Problemstellung die Teilnehmenden nach Abschluss der Unterrichtseinheit wirklich lösen können sollen.
Seien wir ehrlich: Wir Feuerwehrleute sind Spielkinder und wir wollen Action. Je mehr Bedürfnisse davon ein Unterricht befriedigt, desto mehr wird hängen bleiben. Kompetenzorientierter Unterricht müsste für uns erfunden werden, wenn es ihn nicht schon längst gäbe. Packen wir´s an.
PS: An die Pädagogen da draußen: Ich habe vermutlich in euren Augen sehr viel vereinfacht und man könnte das alles sehr viel versierter erläutern. Seht es mir bitte nach. Ich schreibe aus den Augen einer Feuerwehrfrau und auch mein Kompetenzerwerb ist lange noch nicht abgeschlossen. Ich freue mich also auf Eure Anregungen!
Möchtest du mehr über den Kompetenzerwerb und Kompetenzorientiertes Ausbilden nach der zukünftigen FwDV 2 erfahren? Dann buche jetzt Wiebkes Vortrag am 09. Mai um 19:30 zum Thema "maßgeschneidertes System für die Ausbildung der nachfolgenden Generationen".
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